Bei der Impfpflicht sind viele Fragen offen
Auch im neuen Jahr hat die Pandemiebekämpfung weiterhin oberste Priorität. Das dynamische Infektionsgeschehen in der Omikron-Welle stellt uns vor große Herausforderungen. Das wichtigste für uns Freie Demokraten ist und bleibt: Wir müssen die wirksamen Instrumente, die uns zur Verfügung stehen, ausschöpfen, bevor es zu neuen Freiheitseinschränkungen kommt. Daher bin ich froh, dass sich Bund und Länder auf maßvolle Kontaktbeschränkungen und eine Verkürzung der Quarantäne- und Isolationszeiten verständigt haben, um insbesondere die Arbeitsfähigkeit der kritischen Infrastruktur sicherzustellen und Schulen weitgehend offen zu halten. Denn Kinder müssen ihre Bildungschancen wahrnehmen können – weitere Lernrückstände hätten verheerende Auswirkungen.
Der Fortschritt bei der Booster-Kampagne und die Initiative des neuen Bundesgesundheitsministers erfüllen mich mit Zuversicht: Wir haben die vierte Welle ohne pauschale Freiheitseingriffe bewältigt und dabei auf verhältnismäßige Maßnahmen in Verbindung mit der erfolgreichsten Booster-Kampagne Europas gesetzt. Das Impfen ist der Weg aus der Pandemie. Wir setzen uns daher konsequent dafür ein, dass niedrigschwellige Impfangebote ausgeweitet werden und Impfen in der Fläche, sowie für jeden und jede Einzelne ermöglicht wird. Denn es bleibt das Ziel, das Gesundheitssystem durch möglichst viele Impfungen zu entlasten.
Angesichts der im Vergleich zu anderen Ländern niedrigen Quote an Erst- und Zweitimpfungen werden wir in den nächsten Wochen im Bundestag offen über eine Impfpflicht diskutieren. Als Abgeordneter ist es mir wichtig, dass wir bei Gewissensentscheidungen nicht entlang von Fraktionsgrenzen debattieren - denn es handelt sich, ähnlich wie bei der Organspende, um eine medizinethische Frage, nicht um eine parteipolitische. Deswegen erarbeiten die Bundestagsabgeordneten der verschiedenen Fraktionen zurzeit Gruppenanträge, die die unterschiedlichen Auffassungen zur Impfpflicht abbilden. Anders als CSU-Chef Markus Söder, der den Abgeordneten diese Verantwortung nicht zutraut, bin ich davon überzeugt, dass einzig und allein das Parlament über ein so wichtiges Thema entscheiden kann.
Ich selbst bin bei der Impfpflicht noch unentschieden, weil mir die Antworten auf viele wichtige Fragen fehlen. Noch wissen wir beispielsweise nicht, wie häufig und in welchem Rhythmus nachgeimpft werden müsste, um dauerhaften Schutz zu ermöglichen. Es ist unklar, für welche Altersgruppen eine Impfpflicht sinnvoll wäre und wie man sie umsetzen könnte. Zudem fehlen bislang noch wissenschaftliche Erkenntnisse zur neuen Omikron-Variante. Diese - auch medizinischen Fragen - bilden die Grundlage für eine politische Entscheidung. Daher werden wir uns in den nächsten Wochen gründlich mit den Expertinnen und Experten beraten. Wenn alle Gruppenanträge vorliegen, werde ich eine Entscheidung treffen.
Es kommt nicht oft vor, dass Politikerinnen und Politiker öffentlich darüber sprechen, dass sie bei einer Entscheidung noch unentschlossen sind. Doch gerade bei einem Thema wie der Impfpflicht, das viele Fragen aufwirft und zu Kontroversen innerhalb unserer Gesellschaft führt, sollten wir gründlich und transparent debattieren, um zu zeigen, dass wir uns diese Entscheidung nicht leicht machen. Deswegen ist es richtig, dass die Ampelkoalition entschieden hat, in der kommenden Sitzungswoche die bei medizinethischen Fragen bewährte Orientierungsdebatte zu führen.