Gastbeitrag: Fünf Leitplanken für die Eurozone
Zu Jahresbeginn ist die europäische Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) 19 Jahre alt geworden. Aktuell wirkt sie in der Tat wie ein junger Teenager und steckt in einer Lebensphase, in der Erziehungsfehler schnell zum Abrutschen auf die schiefe Bahn führen können.
Zweifellos ist die WWU eine historische Errungenschaft: Sie garantiert europäischen Frieden und hat zu Prosperität und Wohlstand geführt. Konjunkturell verzeichnet die Union die beste Entwicklung seit zehn Jahren mit einer Beschäftigung auf Rekordniveau. Aber: So sehr die Entscheidungen aus den Krisenjahren geholfen haben, Konvergenzfortschritte zu erzielen, so bestehen nach wie vor strukturelle Divergenzen. Erst vor kurzem hat der Kronberger Kreis in seinem „Weckruf für die deutsche Wirtschaftspolitik“ vor einem Austritt Italiens aus der Eurozone gewarnt, das strukturell und konjunkturell vor einem Scherbenhaufen steht. Privatisierungen und die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts wären nötig, um die Wettbewerbsfähigkeit Italiens wiederherzustellen. Die letzten Jahre haben jedoch gezeigt, dass wirtschaftspolitische Empfehlungen der Kommission lediglich zur Kenntnis genommen wurden. Das zeigt sich auch bei der Anwendung der fiskalischen Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Viele Mitgliedsstaaten nehmen diese schon seit Jahren nicht mehr ernst. Seit Einführung des Euro haben sie die fiskalischen Regeln 165 Mal verletzt – Sanktionen Fehlanzeige.
Wie lässt sich das ändern? Neben einer stabilen Grundlage braucht es Nüchternheit bei der weiteren Gestaltung Europas. Im Koalitionsvertrag von CDU, SPD und CSU ist diese nicht zu finden. Es scheint, als wolle die neue Große Koalition dem Präsidenten Frankreichs anlässlich 55 Jahren deutsch-französischer Freundschaft ein Geschenk machen. Der Vertrag liest sich nämlich ausschließlich französisch: Zentralisierung, Solidarität über Eigenverantwortung, Abschied von Haushaltskonsolidierung und Strukturreformen, Einführung einer sozialen Säule Europas und Weiterentwicklung des ESM zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF) lauten die Stichpunkte. Der Fakt, dass mit der Ressortverteilung die Zuständigkeit für eine gemeinsame Einlagensicherung (EDIS) allein in den Händen der SPD liegt, ist das Sahnehäubchen obenauf. Damit droht aus dem charmanten europäischen Aufbruch Macrons aus fiskalpolitischer Sicht nicht weniger als eine Aushöhlung nationaler finanzpolitischer Souveränität und eine Aufweichung der Stabilitätsprinzipien zu werden. Dieser Weg führt die Eurozone auf die schiefe Bahn, wenn nicht sogar ins Verderben.
Die Reise muss in eine andere Richtung gehen. Die Deutsche Bundesbank verwies zur Einführung des Euro zurecht vehement darauf, dass der Erfolg der WWU nur mit harten fiskalischen Regeln gesichert werden könne. Die Eurozone braucht daher ein tragfähiges Konzept für den Weg nach vorne. Antieuropäische Nationalismen helfen dabei genauso wenig weiter wie ein leichtsinniges Vertrauen in die Unfehlbarkeit Brüssels. Auch ein großer Teil der Europäer sieht einen europäischen Superstaat skeptisch. Diese politische Realität muss akzeptiert werden anstatt blindlings eine Kompetenzerweiterung für die Gemeinschaftsebene zu verfolgen. Vielmehr muss über eine klare Abgrenzung von Kompetenzen in Richtung einer föderalistischen Struktur gesprochen werden. Dazu gehören fünf zentrale Leitplanken:
Erstens müssen fiskalische Regeln konsequent befolgt werden. Es ist ein Sanktionsmechanismus nötig, der automatisch greift, sobald der Stabilitäts- und Wachstumspakt verletzt wird.
Zweitens müssen die Schulden der Mitgliedsländer auf ein nachhaltiges Niveau gesenkt werden. Dies gilt insbesondere für Staaten, die trotz Anpassungsprogramm nicht in der Lage sind, sich am Markt zu refinanzieren. Dafür braucht der Euroraum ein Umschuldungsverfahren. Sollte die eigenmächtige Finanzierung am Markt auch danach nicht möglich sein, muss eine geordnete Rückkehr zur eigenen Währung möglich sein.
Drittens sollte der EWF nicht nur intergouvernemental aufgebaut sein, sondern über den uneingeschränkten Parlamentsvorbehalt aller Mitgliedsstaaten verfügen. Zudem muss die Überwachung über Verstöße gegen die Verschuldungsregeln beim EWF und nicht bei der Kommission liegen.
Viertens muss die Notwendigkeit eines europäischen Einlagensicherungssystems hinterfragt werden. So liefert die Wissenschaft keinen Beleg für die Notwendigkeit dieser dritten Säule der Bankenunion. Darüber hinaus blenden alle Kommissionspapiere die effektiven nationalen Einlagensicherungssysteme aus. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Banken in einigen Mitgliedsstaaten noch immer hohe Bestände notleidender Kredite besitzen.
Abschließend benötigt die Eurozone eine klare Definition ihrer Zuständigkeit. Selbstverständlich gibt es Aufgaben, die nur europäisch gelöst werden können, gerade beim Gedanken an Freihandel und Sicherheitspolitik. Die Aufgabe der nationalen finanzpolitischen Souveränität darf dazu aber nicht gehören!