Christian Dürr

GASTBEITRAG: Wir müssen aus dem Flüchtlingsdrama zwei Schlüsse ziehen

Der türkische Präsident Erdogan hat die Waffe Mensch für sich entdeckt. Südlich der Türkei in Syrien lässt er konventionelle Waffen sprechen. Im Norden an der Grenze zur Europäischen Union hingegen setzt er in der Türkei lebende Flüchtlinge und Migranten als politische Waffe ein. Was vielen nicht bewusst ist: Die drohende Flüchtlingswelle von Menschen aus Syrien in die Süd-Türkei hat mit der einseitigen Öffnung der Grenzen im Norden nichts zu tun.

Im Norden warten zehntausende Flüchtlinge, die bereits in der Türkei Schutz gefunden haben. Diese Menschen sind derzeit nicht auf der Flucht, aber natürlich auf der Suche nach einem besseren Leben. Wer könnte es ihnen verdenken.

Ein Chaos wie 2015 darf sich aber nicht wiederholen. Denn das ist weder ein fairer Umgang mit Menschen, die ihr Glück versuchen, noch hilft es uns bei einem der am meisten verdrängten Themen der deutschen Politik: Unsere demografische Krise. Wir sind die zweitälteste Gesellschaft der Welt. Gerade weil kaum ein Land so händeringend auf Migration in seinen Arbeitsmarkt angewiesen ist wie Deutschland, darf sich eine Situation wie 2015 eben nicht wiederholen.

Wir dürfen die Flüchtlings- und Migrationspolitik nicht erneut gegen die Wand fahren, sonst fehlt sowohl die gesellschaftliche Akzeptanz für Schutzsuchende als auch für die dringend benötigte Einwanderung in unseren Arbeitsmarkt! Deshalb wäre eine unkontrollierte Grenzöffnung fatal.

Wer jetzt, wie die Grünen, die Wiedererrichtung der Zeltstädte in Deutschland fordert, ruft geradezu zynisch in die Welt hinaus: „Macht Euch auf den Weg, aber eine Perspektive bieten wir Euch nicht.“ Das ist nicht nur unfair gegenüber Migranten, die sich derzeit in der Türkei aufhalten und dort teilweise Arbeit haben, sondern zerstört die Art und Weise, wie ein Einwanderungsland funktioniert: Migration muss kontrolliert ablaufen.

Das Prinzip des Schutzes von Flüchtlingen ist unantastbar. Wer sich aber in Sicherheit befindet, hat keinen automatischen Anspruch auf Weiterreise in ein Land seiner Wahl. In der Nord-Türkei warten Menschen auf die Einreise nach Europa, die sich teilweise seit Jahren in der Türkei aufhalten und dort in Sicherheit sind.

Die fremdenfeindliche Abschottung, die die AfD wiederum will, würde unseren Wohlstand zerstören. Grundsätzlich muss deshalb gelten: Wer eine Qualifikation hat, die bei uns gesucht wird, muss eine echte Chance bekommen, einzuwandern. Und da ist Deutschland denkbar schlecht aufgestellt. Es rächt sich jetzt, dass die Große Koalition es in den vergangenen Jahren nicht geschafft hat, unser Land zu einem modernen Einwanderungsland mit klaren Regeln zu machen.

Von den mehr als 500.000 Einwanderern, auf die wir pro Jahr angewiesen sind, sind wir meilenweit entfernt. Wir brauchen klare Regeln für die Einwanderung in den Arbeitsmarkt, aber eben auch klare Regeln für die humanitäre Hilfe, für die es nach wie vor eine große Bereitschaft bei den Menschen in Deutschland gibt. Vorausgesetzt es herrschen geordnete Verhältnisse.

Die aktuelle Krise in der Türkei schreit daher geradezu nach zwei Schlussfolgerungen. Erstens: Deutschland muss endlich ein echtes Einwanderungsland werden. Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz, das diesen Namen auch verdient. Zweitens: Humanitäre Hilfe für Schutzsuchende – Ja. Einreise aus wirtschaftlichen Gründen ohne Jobaussicht – Nein.

Wir wollen, dass Menschen nicht als Flüchtlinge zu uns kommen müssen, sondern, dass wir sie als Einwanderer begrüßen können.