Christian Dürr

Hohe Steuern muss sich der Staat leisten können

Foto: Unsplash
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Viele Feiertage in Deutschland fallen in die schönen Tage im Mai und Juni: der Tag der Arbeit, Christi Himmelfahrt, Pfingsten, Fronleichnam. Dagegen liegt der symbolische Steuerzahlergedenktag etwas einsam mitten im Juli, dieses Jahr am 13. In vielen Ländern ist das anders - in der Schweiz fällt der Steuerzahlertag bereits in den kalten März, in den USA in den April, in Kanada und Großbritannien in den Mai. In Deutschland lag er einst immerhin Ende Juni, letztmals allerdings vor gut zwanzig Jahren. Der erste Steuerzahlergedenktag in der Kanzlerschaft Angela Merkels fiel vor 15 Jahren bereits in die zweite Jahreshälfte, auf den 5. Juli. Inzwischen ist er um weitere acht Tage nach hinten gerückt.

Der Steuerzahlergedenktag ist der Tag, an dem die Bürger in Deutschland im Durchschnitt ihre gesamte Steuer- und Abgabenlast für das laufende Jahr erarbeitet haben - von heute an bis zum Jahresende verdienen sie statistisch betrachtet ihren eigenen Lebensunterhalt.
Schon vor der Corona-Krise stieg die Steuerquote in Deutschland bis 2019 auf den höchsten Wert seit Ende der 1970er Jahre. Zählt man direkte und indirekte Steuern sowie Sozialversicherungsbeiträge zusammen, muss schon ein Single mit einem Jahresgehalt von 28.000 Euro Abgaben von 50 Prozent seines Einkommens tragen. Damit ist klar: Steuerpolitik ist Gerechtigkeitspolitik, aber in einem ganz anderen Sinne, als uns die Parteien aus dem linken politischen Spektrum oft erklären wollen: Übermäßige Steuern und Abgaben machen den individuellen Lebensweg zur Sisyphos-Aufgabe - bei jedem Fortschritt, jeder Gehaltserhöhung greift der Staat noch stärker zu. Sie machen das Aufstiegsversprechen der Sozialen Marktwirtschaft unglaubwürdig. Deshalb ist die Steuerpolitik eine Kernfrage der Bundestagswahl am 26. September: Rücken Grüne, SPD und Linke den Steuerzahlergedenktag Schritt für Schritt weiter in Richtung Herbst, oder gelingt eine Trendwende hin zum Juni?

Entscheidend dafür, so möchte man meinen, sollte die Position des Kanzlerkandidaten der aller Wahrscheinlichkeit nach stärksten politischen Kraft sein: Armin Laschet von der Union. Nun hat Laschet jüngst im Sommerinterview mit der ARD in bemerkenswerter Offenheit deutlich gemacht, was von den vagen Bekenntnissen zu Steuersenkungen in seinem eigenen Wahlprogramm zu halten ist: nichts. Steuererleichterungen werde es weder heute noch morgen geben. Das ist gegenüber der Merkel-Ära ein Fortschritt, denn damit ist diesmal schon vor und nicht mehr erst nach der Wahl klar: Entlastungen für die Bürger haben bei CDU/CSU weiterhin keine Priorität. In einer schwarz-grünen Koalition wäre sogar zu befürchten, dass die Union den Wünschen Frau Baerbocks nachgeben und das Leben für Immobilienerwerber, Autofahrer und Flugreisende noch teurer machen würde. Das wäre für die Zukunft der aufstiegsorientierten Mittelschicht eine fatale Weichenstellung - immer späterer Steuerzahlertag, noch mehr Sisyphos.

Denn es geht in der Steuerpolitik ebenso wie in der Innovations-, Digitalisierungs- und Klimapolitik um die Frage, ob Deutschland künftig noch attraktiv sein wird für gut ausgebildete und leistungsbereite Menschen. Wir stehen mit unseren steuerlichen Rahmenbedingungen nicht nur im Wettbewerb um Unternehmensansiedlungen, sondern wir stehen auch im Wettbewerb um Fachkräfte, denen in vielen anderen Ländern inzwischen attraktivere Bedingungen geboten werden. Hohe Steuern muss sich unser Staat erst mal leisten können.

Am Wochenende gab es eine viel beachtete Einigung der G20-Staaten über eine globale Neuverteilung der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer. Hier gibt es in der Tat viel zu tun, um eine Besteuerung digitaler Geschäftsmodelle entsprechend der Leistungsfähigkeit sicherzustellen. Dabei wird oft übersehen, dass auch die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer - vor allem die Einkünfte der Arbeitnehmer - zunehmend international mobil ist: Menschen, denen wir in Deutschland keine fairen Aufstiegschancen bieten, die hier durch hohe Steuern und Abgaben keinen Spielraum für Vermögensaufbau und Altersvorsorge sehen, werden überlegen, ob sie in einem anderen Land bessere Zukunftschancen für sich und ihre Familie vorfinden. Und qualifizierte Fachkräfte aus anderen Ländern, die wir aufgrund des demografischen Wandels dringend brauchen, werden sich gegen Deutschland entscheiden, wenn hier nur über höhere Steuern gesprochen wird und nie über Entlastungen.

Durch eine Senkung der Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen und einen Spitzensteuersatz, der erst bei Spitzeneinkommen ab 90.000 Euro im Jahr greift, wird die deutsche Wirtschaft, aber auch der deutsche Staat für motivierte Leistungsträger wieder attraktiver. Diese zahlen hier Steuern - nicht nur auf ihr Einkommen, sondern in Form der Umsatzsteuer auch auf ihren Konsum. Indem wir den Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte endlich auch als steuerpolitische Aufgabe begreifen, setzen wir in Deutschland nach den lähmenden Jahren der Großen Koalition eine positive Dynamik in Gang: eine wachsende, innovative Wirtschaft, ein effektiver, digitalisierter Staat - und ein Steuerzahlertag, der langsam wieder in die erste Jahreshälfte rückt.