Christian Dürr

INTERVIEW: Alles andere als gerecht

Frage: Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sagt, es gäbe keine Luft im Haushalt, um den Soli vollständig abzuschaffen. Trifft das Ihrer Ansicht nach zu?
Dürr: Was der Finanzminister sagt, ist Quatsch. Der Bund hat kein Einnahmeproblem. Er hat ein Ausgabeproblem. Wir werden mehr als 500 Änderungsanträge zum Haushalt stellen und zeigen, dass diese 20 Milliarden Euro – das ist die Summe, die dem Bund aus dem Soli pro Jahr zukommt – auch schon ab 2020 vollständig finanzierbar sind. Der Gesetzentwurf sieht ja nicht nur eine Teilabschaffung vor, sondern auch eine Verschiebung dieser Reduzierung auf 2021. Damit sind wir ab 1. Januar schon in der Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes.

Frage: Der Soli fällt nicht für alle. Die Bundesregierung begründet das, indem sie von einer Gerechtigkeitsfrage spricht. Ist es nicht vielleicht doch eine Gerechtigkeitsfrage, dass die Reichen mehr als die Armen zahlen?
Dürr: Gerecht ist es, wenn man sich an zugesagte Versprechen hält. Es war eine schwarz-gelbe Koalition in den 90er Jahren, die den Soli damals mit Helmut Kohl eingeführt hat. Es gab das Versprechen, dass, wenn der Grund entfällt, auch die Steuer zu 100 Prozent entfallen muss. Das ist nun zum 31. Dezember mit dem Auslaufen des Solidarpaktes II für Ostdeutschland der Fall. Ich glaube, was die Union da tut, ist auch ein Beitrag zur Politikverdrossenheit. Der Soli entfällt eben insbesondere nicht für kleine und mittelständische Familienbetriebe. Für alle GmbH, also Handwerksbetriebe in dieser Rechtsform, bleibt der Soli voll bestehen. Wir sagen immer, es muss mehr private Altersvorsorge betrieben werden. Aber die Sparer sollen den Soli auf Kapitalerträge weiter voll zahlen. Das ist also alles andere als gerecht, eher das Gegenteil!
 

Frage: Ich frage noch mal nach: Es trifft ja nun nur die, die wirklich mehr verdienen. Das ist doch gerecht?
Dürr: Es trifft diejenigen, die mittelständische Unternehmer sind. Da kann man zwar sagen, die verdienen mehr, aber die können dann eben weniger investieren. Insofern trifft es mittelbar natürlich auch die Beschäftigten des Mittelstandes. Der Mittelstand in Deutschland hat die meisten Beschäftigten – mehr als die Großkonzerne. Wenn der Mittelstand weniger investieren kann, wenn er jetzt weiter belastet wird gegenüber der ursprünglichen Planung, den Soli ganz auslaufen zu lassen, dann betrifft das auch die Beschäftigten. Irgendjemand zahlt ja diese zehn Milliarden Euro, die weiter erhoben werden sollen. Und das ist eben der deutsche Mittelstand.

Frage: Der Staat nimmt weniger ein. Der Aufbau Ost ist noch nicht beendet. Muss der Osten jetzt darben?
Dürr: Mittlerweile sagt man ja parteiübergreifend, dass es keine Hilfen für Ostdeutschland als solches mehr geben soll. Leipzig boomt, Dresden boomt, während wir im Ruhrgebiet Strukturprobleme haben. Solch eine allgemeine Aufgabe, nämlich Strukturprobleme zu lösen und die Lebensbedingungen anzugleichen, ist eine staatliche Aufgabe. Die gibt es immer. Das ist aber keine Rechtfertigung für eine Sonder-Bundessteuer. Das muss aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert werden. An unseren Anträgen für den Bundeshaushalt 2020 kann man ja sehen, dass es geht. Auch ohne Soli.