Christian Dürr

Kernkraftwerke sollten betriebsbereit bleiben

Foto: Tobias Koch

Angesichts der Energiekrise haben wir uns im vergangenen Jahr – genau wie viele Bürgerinnen und Bürger – gefragt, ob der Atomausstieg 2022 sinnvoll ist. Ich habe es immer für ein Problem gehalten, aus einer sicheren, klimaneutralen Energiequelle auszusteigen, um stattdessen mehr Braunkohle zu verstromen. Immerhin konnten wir nach langen Diskussionen und ideologischen Debatten erreichen, dass die Kernkraftwerke über den Winter am Netz geblieben sind. Jede andere Entscheidung wäre im vergangenen Winter absolut unverantwortlich gewesen.

Der Weiterbetrieb der Kernkraftwerke wäre aber auch über dieses Frühjahr hinaus klug gewesen. Es gibt keine seriösen Vorhersagen darüber, wie die Energieversorgung im kommenden Winter aussehen wird. Schlimmstenfalls werden wir erneut mit drohenden Energieengpässen konfrontiert sein. Dann werden sich viele Menschen ärgern, dass Deutschland frühzeitig aus der Kernenergie ausgestiegen ist.

Es ist auch auf europäischer Ebene schwer vermittelbar, dass unsere Kernkraftwerke vom Netz gehen, während Frankreich und Finnland dieser Tage neue Meiler eröffnen. Wir manövrieren uns in eine Situation, in der wir etwa französischen Atomstrom importieren müssen, der unmittelbar hinter der Grenze hergestellt wird, um unseren Energiebedarf zu decken. Das ist ein schwaches Zeichen für die europäische Solidarität und sorgt für Unverständnis bei unseren Partnern.

Daher bedaure ich sehr, dass es innerhalb der Koalition keine politische Mehrheit für einen Weiterbetrieb in der Zukunft gegeben hat. Damit war es für uns auch ausgeschlossen, einem Antrag der Union zuzustimmen, den sie seinerzeit gestellt hat, um die deutschen Kernkraftwerke am Netz zu lassen – auch wenn wir in dieser Sache einer Ansicht waren.

Das hat die Union nicht anders gehandhabt, als wir in unseren Oppositionszeiten die Abschaffung des Solis gefordert haben – und CDU/CSU trotz Zustimmung in der Sache abgelehnt haben. Außerdem gibt es keine wechselnden Mehrheiten in Deutschland. Würden wir einem Antrag der Union zustimmen, könnten unsere Koalitionspartner auch den Steuererhöhungs- oder Tempolimit-Plänen der Linken zustimmen. So funktioniert eine Koalition nicht.

Es überrascht mich insgesamt, mit welcher Vehemenz die Union heute dagegen wettert, die Kernkraftwerke abzuschalten, schließlich war sie es doch, die den Atomausstieg beschlossen hat. Ich warte jedenfalls noch immer darauf, dass Herr Söder Worten Taten folgen lässt und, wie einst angekündigt, seinen Rücktritt einreicht – schließlich hat die Kernenergie über das Jahr 2022 hinaus Bestand gehabt.

Klar ist: Die beste Option für unser Land wäre der Weiterbetrieb gewesen. Doch nun, da die Entscheidung gefallen ist, gilt es, sich auf die Zukunft zu konzentrieren. Die nächstbeste Möglichkeit ist es jetzt, dafür zu sorgen, dass die Kernkraftwerke betriebsbereit bleiben, falls wir noch einmal in eine Notsituation in der Energieversorgung kommen sollten. Es wäre sinnvoll, die Werke jederzeit wieder hochfahren zu können, sollte es erforderlich werden.

Außerdem werden wir den Ausbau der Erneuerbaren Energien weiter energisch vorantreiben. Die besten Voraussetzungen dazu haben wir im vergangenen Koalitionsausschuss geschaffen. Darüber hinaus sollten wir bereits heute auf Zukunftstechnologien wie die Kernfusion setzen. Statt immer nur aus Technologien auszusteigen, könnte Deutschland hier ein starkes Zeichen setzen: Technologieoffenheit ist die Zukunft!