Christian Dürr

Wir sind eine Geschwindigkeits-Koalition

Foto: Tobias Koch

Die FDP ist in die Ampelkoalition eingetreten, um das Land zu modernisieren. Nach jahrelangem Stillstand unter Führung der Union sind dringende Reformen notwendig. Sicher sind die inhaltlichen Unterschiede zwischen SPD, Grünen und FDP groß – dennoch haben wir es geschafft, eine Koalition zu bilden, die auf Vertrauen und gegenseitigem Respekt basiert und in diesem Jahr bereits Großes geleistet hat.

Es ist die erste Ampelkoalition auf Bundesebene. So fortschrittlich und neu, wie diese Konstellation ist, ist auch die Agenda, die wir uns für diese vier Jahre vorgenommen haben.

Das erste Jahr war wie kein anderes: Kurz nachdem die Ampelregierung die Arbeit aufgenommen hatte, brach mitten in Europa ein fürchterlicher Krieg aus. Vieles von dem, was wir uns vorgenommen haben, musste erstmal warten – denn es hatte oberste Priorität, die Ukraine zu unterstützen und unser Land in den folgenden Monaten aus der Krise heraus zu manövrieren.

Russlands Angriff auf die Ukraine hat politische Überzeugungen in Frage gestellt, die lange selbstverständlich waren, ganz unabhängig davon, wer regiert hat. Auch für die Ampelkoalition war und ist das nach wie vor eine große Herausforderung. Wir haben viele Schritte machen müssen, die noch vor einem Jahr undenkbar gewesen wären. Aber wir haben die Zeit des Umbruchs auch genutzt, um große Reformen voranzubringen.

Energiepolitik

Innerhalb weniger Monate haben wir es geschafft, die Abhängigkeit von russischem Gas schrittweise zu verringern. Gleichzeitig haben wir den Ausbau der Erneuerbaren Energien vorangetrieben und damit begonnen, unsere Energiequellen stärker zu diversifizieren - denn wir dürfen nicht länger von autokratisch regierten Staaten abhängig sein.

Freihandel

Deswegen ist es auch wichtig, dass es uns nach Jahren des Stillstands gelungen ist, das CETA-Abkommen mit Kanada zu ratifizieren. Denn gerade angesichts der geopolitischen Lage ist es wichtiger denn je, dass wir den Freihandel mit den Demokratien dieser Welt ausbauen. Wir Freie Demokraten werden uns dafür einsetzen, dass die Verhandlungen mit anderen Partnern wie Mexiko oder Chile zum Abschluss kommen - und wir wollen einen neuen Anlauf für ein Abkommen mit den USA nehmen.

Entlastung für die Mitte

Dank Bundesfinanzminister Christian Lindner haben wir nicht nur schlagkräftige Entlastungspakete auf den Weg gebracht, sondern wir haben mit dem Inflationsausgleichsgesetz auch dafür gesorgt, dass es im kommenden Jahr nicht zu schleichenden Steuererhöhungen kommt.

Planungsbeschleunigung

Nach dem Debakel um den BER oder die Elbphilharmonie hätte doch niemand gedacht, dass wir in der Lage sind, ein Großprojekt innerhalb von sechs Monaten fertigzustellen. Doch beim LNG-Terminal in Wilhelmshaven ist uns das gelungen. An diesen Erfolg wollen wir künftig anknüpfen. Unser Ziel im Koalitionsvertrag: Planungs- und Genehmigungsverfahren halbieren und den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken.

Einwanderung

Worauf wir in Deutschland zudem dringend angewiesen sind, ist mehr Migration in den Arbeitsmarkt. Dafür brauchen wir ein modernes Einwanderungsgesetz und klare Regeln. Mit dem Chancenaufenthaltsrecht, das Menschen, die schon lange in Deutschland sind, eine Perspektive gibt, haben wir einen ersten Schritt gemacht. Schon Anfang des Jahres wollen wir ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz mit Punktesystem in den Bundestag einbringen.

Bildung

Aufstiegschancen und der eigene Lebensweg dürfen nicht länger vom Elternhaus abhängig sein - ein Anliegen, das uns Freien Demokraten besonders wichtig ist. Deswegen hat unsere Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger gleich im ersten Jahr Verbesserungen beim Bafög auf den Weg gebracht.

Bürgergeld

Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit Anfang der 2000er Jahre waren die damaligen sozialpolitischen Formen richtig und notwendig. Heute müssen wir anerkennen, dass das Hartz-IV-System immer mehr Menschen davon abhält, im Leben voranzukommen. Das Bürgergeld, das wir im November beschlossen haben, ist aufstiegsorientierter und leistungsgerechter, indem es diejenigen belohnt, die arbeiten wollen. Ganz nach dem Prinzip „Fördern und Fordern“.

Wir haben in diesem Jahr innerhalb der Koalition konstruktiv um die besten Lösungen gerungen und viele Gesetze in kürzester Zeit beschlossen. Die oben genannten Reformen sind nur ein Bruchteil dessen, was die Ampelkoalition - ich nennen sie „Geschwindigkeits-Koalition“ - auf den Weg gebracht hat. Trotz aller inhaltlicher Unterschiede haben wir Entschlossenheit und Zusammenhalt bewiesen und insgesamt mehr als 100 Gesetze im Bundestag verabschiedet. Im kommenden Jahr müssen wir uns darauf konzentrieren, die Weichen für das nächste Jahrzehnt zu stellen. Die wichtigsten Themen aus meiner Sicht, die wir jetzt angehen müssen: Eine geordnete Einwanderungspolitik, unsere Energieversorgung sowie die Beschleunigung von Planungsvorhaben.